liegengeblieben #7

Maskottchen

Warum er nicht über beiden Augen die Haare abschnitt. Über seinem rechten Auge wucherte die Augenbraue, wuchs bis zum Nasenflügel, links waren die Borstenhaare gekürzt, auf zwei Zentimeter zurückgeschnitten, etwas ungleichmäßig, er machte das selbst. Warum nicht über beiden Augen? Eine Zeitlang hatten sie ihn gefragt: seine Nachbarin, seine Schwester, auch die Dame vom Pflegedienst, die er lieber Haushaltsfee nannte, und die einmal die Woche vorbeikam. Bis sie es aufgaben, annahmen, dass er mit dem Auge nichts sah. Gesagt hatte er das nie, es stimmte ja nicht, es gab schlicht keinen Grund, ihnen zu widersprechen. Allen gefiel die Erklärung. Er mochte sie auch. Vielleicht sehnte sich ein Teil von ihm nach mehr Privatsphäre, oder er wollte nicht alles sehen, was um ihn herum geschah, oder er hatte sich schon als Kind gewünscht, später ein spleeniger, alter Mann zu sein, und etwas Besseres war ihm nicht eingefallen. Möglicherweise lag es einfach an der defekten Beleuchtung an seinem Badezimmerspiegel, zumindest hatte es damit zu tun, und irgendwann fand er Spaß daran. So wie es ihm Spaß machte, an seinem Küchentisch zu sitzen und auf die Landstraße zu blicken. Da solle er nicht sitzen, nicht einfach so, er würde sich langweilen, man könne doch mal was unternehmen. Nein. Die Katze vom Nachbarhaus, in dem Leute mit grässlichen Kindern wohnten, stand im Straßengraben, die Schwanzspitze zeigte zitternd nach oben. Nicht loslaufen, befahl er ihr stumm. Seine Handflächen schwitzten. Dieses dumme Vieh lief immer zu dicht an die Straße. Ob er nicht einen Ausflug machen wolle? Was das jetzt wieder für eine Idee sei? So eine Seniorenfahrt, zum Beispiel. Mit Senioren? Deswegen heiße sie so. Lachend setzte sich seine Haushaltsfee zu ihm, auf den Stuhl am Fenster, er hatte die Katze nicht mehr im Blick. Viele ältere Leute würden das machen: nach Verona fahren, oder auch an die Ostsee. Könnte doch nett sein. Nein. Er sei schließlich ungebunden, müsse auf niemanden Rücksicht nehmen. Hatte er noch nie. Ja, schon gut. Ob er nicht meine, dass er sich da mal etwas gönnen dürfe? Nicht den ganzen Tag auf dem blöden Küchenstuhl sitzen. Damit tue er niemandem einen Gefallen. Ginge es denn darum? Also wirklich. Ihretwegen könne er auch nach – nach – na, irgendwohin, wo er ein bisschen. Er wisse wohl, was sie meine. Ihretwegen? Bitte. Er wisse wohl, was sie meine. Sie stand auf. Die Katze stand nicht mehr im Graben. Das Fenster, sagte die Haushaltsfee, würde sie nächsten Freitag putzen. Ob sie ihm etwas aus der Stadt mitbringen solle. Ja, dachte er, aber seinen Pastis müsste er sich ohnehin wieder selbst besorgen.

(liegengeblieben sind Fragmente von Texten, die herausfallen, wenn man alte Notizbücher schüttelt.)

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