liegengeblieben #3

(Ich hatte das Bild eines Telefons im Kopf, das ging nicht weg, ein unsichtbarer Anrufer, jemand, der ihn sucht …)

Nebel, beschienen von Gaslaternen, von runden, alten Gaslaternen. Dieses gelbe Licht. Häuser mit Backsteinfassaden, Pfützen auf den Gehwegen, ein welkes Blatt im Rinnstein.

Neben den Leichen? Dann Hollywood Nebel. Ich meine diese Schwaden, die in amerikanischen Filmen in jeder größeren Stadt aus dem Boden wabern. Vielleicht lieber Staub. Aber den Krieg behalten wir, oder verhandeln wir jetzt etwa auch über den Krieg?

Die Geschichte zuckt mit den Schultern. Also schön, die Geschichte kann nicht mit den Schultern zucken, das ist eine Binse, ebenso wie der Schrecken des Krieges. Wir könnten uns fragen, zu welcher Zeit, an welchem Ort, die Menschen starben. Schau, hier liegt einer mit abgerissenen Armen und sieh, dem dort drüben, dem fehlt der Kopf. Sollen wir uns fragen, ob es ein anerkannt guter Staat war, der dem Jungen da hinten mit einer Mine die Hände zerfetzt hat, dem Mädchen hier vorne Mutter und Schwester verbrannte, oder ob das die anerkannt Bösen waren? Klar, das hilft. Nicht zynisch werden, rügt die Geschichte, hält dann aber den Mund, als ihr klar wird, was sie da sagt. Wir räuspern uns, richten die Schreibsachen gerade, und kehren zur Atmosphäre zurück.

Nebel? Ja. Die Staubwolken haben sich längst gelegt, und die herumliegenden Leichen passen nicht her. Schon seit einiger Zeit ruhen die Waffen, fallen keine Bomben mehr vom Himmel, stehen Menschen vor ihren zerstörten Häusern und freuen sich über die Stille.

Das funktioniert nicht, wirft die Geschichte ein. Wir haben uns mitreißen lassen. Wie können wir unsere Iris, die Liebste, in einem intakten Haus, einem eingerichteten Wohnzimmer sitzen lassen, herausschauen aus ihrem Fenster, wenn die Stadt vollständig in Schutt und Asche liegt?

Weil wir etwas vergessen haben.

Wir haben nicht gesagt, dass dieser Krieg, der nichts weiter zurückgelassen hat als Elend und Zerstörung, wie es Kriege nun einmal so tun, anderswo stattfand. Merken wir uns das.

Irgendwo, irgendwann, findet sich immer ein Krieg.

In der Straße vor dem Haus, in dem Iris lebt, flammen gerade die Lampen auf.

Wie diese Geschichte erzählt werden will? Wir reden gerade darüber. Eine bestimmte Atmosphäre, sagt die Geschichte, ich möchte in einem bestimmten Lichtschein erzählt werden, fordert sie, Nebel und Gaslichter und abgeschlagene Kofferecken, noch mehr Nebel, fordert sie. Da: das Telefon. Ein schwerer schwarzer Apparat, mit Wählscheibe und einem stoffüberzogenen Kabel. Er steht auf dem Tischchen im Flur. Nicht nötig, das Eichenfurnier des Tischs zu erwähnen, die Sonnenblumen und Ähren-Tapete an langen Wänden. Kaum steht das Telefon da, hat es eine Stimmung erzeugt, eine Erwartung geweckt, wir sehen schon ein paar Füße in marine blauen Pumps auf die Türschwelle treten, rund und breit diese Schuhe, nicht spitz, ihr Absatz ist gerade so hoch, dass die Waden sich strecken. Unter der Strumpfhose aus Nylon. Farbton: Karamell. Wir können also das Telefon sehen und die Füße und deshalb das Klingeln hören, weshalb ginge sonst jemand direkt darauf zu, kaum sind wir so weit gekommen, sagt die Geschichte: das Telefon ist mir zu alt. Ob sie etwas Moderneres haben könnte? Bitte? Sie habe doch Nebel gewollt und Gaslampen und all diesen Kram. Jetzt nicht mehr. Vielleicht könne man ja mal etwas Zeitgemäßeres machen. Auch der Tisch auf dem Flur. So ein Telefon, ein schnurloses, klein und schwarz und mit Display für Uhrzeit und Anruferkennung und mit Speicherfunktion, läge nicht traurig im Flur herum, dort stände, wenn überhaupt, ein schwarzer Lacktisch mit einem minimalistischen Blumenarrangement, in der Küche könne das Telefon liegen, und wir legen es neben die Kaffeetasse, riechen den Milchkaffee und betrachten die Hand, die eben zum Telefon greifen will, sehen einen Streifen der hellblauen Fleecejacke, wir hören schon beinahe das Klingeln, denn ohne Grund würden die Finger mit den professionell French-Manikürten Nägel, nicht zum Telefon greifen, kaum haben wir alles zurecht gelegt, sagt die Geschichte: warum kein Headset? Warum kein SmartPhone? Und in dem Moment juckt es mich, die Geschichte anzuschreien, ihr an den Kopf zu werfen: Erzähl ich oder erzählst du? Aber mir ist klar, wer bei diesem Streit nicht gewinnt. Ich reiße mich zusammen.

(Liegengeblieben sind Fragmente von Texten, die herausfallen, wenn man alte Notizbücher schüttelt.)

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